Von Ibiza ins Olympiastadion 11FREUNDE

October 2024 · 4 minute read

Dieser Text erscheint im Rahmen unserer Koope­ra­tion mit dem Tages­spiegel.

Zwei Tage, nachdem er die Vision vom Big City Club“ und den damit ein­her­ge­henden Grö­ßen­wahn offi­ziell beer­digt hat, steht Kay Bern­stein, der Prä­si­dent von Hertha BSC, da, wo der Klub sich viel lieber sieht: in einer Eck­kneipe in Neu­kölln. Da, wo das Schult­heiss in der Kugel ser­viert wird und die Knab­ber­mi­schung in weißen Sup­pen­schüs­seln aus Plastik auf den Tischen steht. Jetzt ist Hertha wieder zurück zu den Wur­zeln“, sagt Frank Zander, den sie den Hertha-Barden nennen.

Die Tafel neben der Ein­gangstür des Rosels“ in der Weser­straße ver­kündet, dass heute erst ab 14 Uhr geöffnet ist. Der Betrieb läuft trotzdem schon. Nur ist die Kneipe für Hertha reser­viert. Oder besser für Frank Zander, der ja in gewisser Weise die Stimme des Ber­liner Fuß­ball-Bun­des­li­gisten ist. Rau­chig und knei­pen­ge­gerbt.

Das ist ein Gefühl“

Es gibt was zu feiern im Rosel: ein neues Buch und vor allem ein Jubi­läum. Ziem­lich genau 30 Jahre ist es her, dass Zander in der Pause des DFB-Pokal-Halb­fi­nales auf dem Rasen des Olym­pia­sta­dions stand. Am 31. März 1993 emp­fing Hertha BSC den Chem­nitzer FC. Aber nicht die Profis des dama­ligen Zweit­li­gisten hatten es ins Halb­fi­nale geschafft, son­dern dessen Ama­teure, die soge­nannten Hertha-Bubis. Eine Sen­sa­tion war das, ein großes Spek­takel. Auch des­halb hatte ein lokaler Radio­sender Frank Zander für die Halb­zeit­show im Sta­dion enga­giert.

Im Rosel sind Bilder von damals auf einem Fern­seh­schirm zu sehen, noch im alten 4:3‑Format. Cheer­leader mit rot­gol­denen Puscheln säumen Zan­ders Weg zum Mit­tel­kreis. Er trägt die unver­meid­liche Son­nen­brille, einen schwarzen Hut, einen weißen Schal um den Hals und weiße Hand­schuhe. Als erstes singt er Hier kommt Kurt“. Die Reak­tion der 56.524 Zuschauer in der zugigen Schüssel? Applaus war da, aber nur ein Raunen“, erin­nert sich Zander. Das ändert sich, als er den zweiten Song vor­trägt.

Die Melodie ist bekannt – Sai­ling von Rod Ste­wart –, der Text ist neu: Nur nach Hause geh‘n wir nicht“. Der Refrain ist am Ende einer lau­schigen, langen und feucht-fröh­li­chen Nacht im Urlaub ent­standen, an einer Strand­bude auf Ibiza: Nur nach Hause geh’n wir nicht. Was das mit Fuß­ball zu tun habe, fragt Zander selbst. Null“, ant­wortet er. Das ist ein Gefühl.“

1993 stürmten sie aus dem Wed­ding ins DFB-Pokal­fi­nale und erlebten dabei eine Reise für die Ewig­keit: Das ver­rückte Pokal­jahr der Hertha-Bubis.

Zur Reportage

Deut­scher Meister 2009. Hätte ja bei­nahe geklappt

Und manchmal trifft man eben ein Gefühl, das alle teilen. Nur nach Hause geh’n wir nicht“ ist eigent­lich nur für diesen einen, für diesen beson­deren Abend im DFB-Pokal gedacht. Doch es kommt anders. Die Bubis errei­chen das End­spiel, und das Publikum erlebt, ohne es zu wissen, die Geburts­stunde einer neuen Hertha-Hymne. Noch heute wird Nur nach Hause“ bei jedem Spiel im Olym­pia­sta­dion gespielt, immer dann, wenn die Mann­schaft vor dem Anpfiff aus den Kata­komben auf den Rasen kommt.

Über all das hat der Sport­jour­na­list Michael Jahn ein Buch geschrieben, das ab Freitag im Handel erhält­lich ist und das er am Mitt­woch gemeinsam mit Frank Zander im Rosel in Neu­kölln vor­ge­stellt hat. Da, wo das Schult­heiss in der Kugel ser­viert wird, wo Hertha-Tri­kots bis unter die Decke hängen und auch ein blau-weißer Schal mit der Auf­schrift: Deut­scher Meister 2009. Hätte ja bei­nahe geklappt damals.

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Für mich gibt es Hertha nur mit dieser Hymne“

Vor fünf Jahren, als Hertha nicht mehr Eck­kneipe sein wollte, da haben sich ein paar neun­mal­kluge Men­schen im Verein gedacht: Ach, Frank passt irgendwie nicht mehr zu unserem neuen Start-up-Image. Lass uns mal was Hippes machen! Also, haben sie beim Ein­laufen Dickes B“ von Seeed gespielt – und damit einen Auf­stand der Fans aus­ge­löst. Beim nächsten Spiel lief wieder Nur nach Hause…“. Ich bin damit groß geworden“, sagt Kay Bern­stein, der Prä­si­dent, der aus der Kurve kam. Für mich gibt es Hertha nur mit dieser Hymne. Nur nach Hause‘ ist ele­mentar wichtig, weil es Iden­ti­fi­ka­tion bedeutet.“

Alles ver­än­dert sich: Die Inves­toren bei Hertha kommen und gehen. Frank Zander aber bleibt. Ick bin stolz“, sagt der 81-Jäh­rige. Das ist schon was Beson­deres, vor der Ost­kurve zu stehen. Jedes Mal freu ich mich und habe ein leichtes Bib­bern im Herzen.“ Am Ende im Rosel mit Schult­heiss und Ziga­ret­ten­rauch nimmt Zander seine Gitarre in den Farben Blau und Weiß zur Hand. Freunde, was gibt es Schö­neres als hier im Olym­pia­sta­dion…“ – er legt eine kurze Pause ein – „… beim Spiel gegen Braun­schweig …“ Frank Zander lacht. Ein­tracht Braun­schweig spielt in der Zweiten Liga.

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