Als die Almanache irrten - Mrz 1909 +++ 11FREUNDE

November 2024 · 3 minute read

Immer wenn die deut­sche Fuß­ball-Natio­nal­mann­schaft ein Debakel erlebt, wird an den März-Tag 1909 von Oxford und das 0:9 gegen Eng­land erin­nert. Weil das die Ant­wort auf die Frage ist, wann sie eigent­lich ihre höchste Nie­der­lage erlitten hat. Heute hat sich das 0:9 zum 100. Mal gejährt, allein nie­mand scheint es gewusst zu haben. In den wich­tigsten Nach­schlag­werken, auf die Fach­leute und Fans zurück­greifen können, ist ein­hellig der 16. März 1909, ein Dienstag, ver­merkt. So steht es seit Jahr­zehnten schon im Kicker-Alma­nach, so steht es in Ludger Schulzes Län­der­spiel-Chronik »Die Mann­schaft« und so steht es auch bei Gerd Krä­mers Sach­buch »Im Dress der elf Besten« von 1962.

Auch der DFB hat das fal­sche Datum sowohl auf seiner Internet-Seite als auch in seiner offi­zi­ellen Chronik »100 Jahre Lei­den­schaft«, die 2008 erschien, über­nommen. Wer es in die Welt gesetzt hat, ist schwer­lich zu veri­fi­zieren, schon im Kicker-Son­der­band »Tor für Deutsch­land« von 1941 ist er ent­halten. Sport-His­to­riker hätten miss­trau­isch werden können, weil diens­tags doch eher selten gespielt wurde. Aber mit ein wenig Archiv­stu­dium lässt sich der fal­sche Fakt leicht wider­legen. So wird schon am Sonntag, den 14. März 1909, von dem Spiel in den Zei­tungen berichtet. Die BZ am Mittag etwa schrieb: »Wäh­rend im Vor­jahre in Berlin die Eng­länder mit 5:1 gewannen, blieben sie am Sonn­abend in Oxford mit 9:0 sieg­reich.« Auch andere Zei­tungen berich­teten an diesem Tag vom deut­schen Debakel, wenn­gleich eher dürftig: So vergaß die »Vos­si­sche Zei­tung« am 14. März doch tat­säch­lich das Ergebnis, wofür sie sich am 15. März bei ihren Lesern ent­schul­digte. Auch mit der Mann­schaft ging sie scho­nend um: »Wie nach­träg­lich bekannt wurde, zeigten die Deut­schen trotz dieses ungüns­tigen Ergeb­nisses ein recht gutes Spiel.« Der Ber­liner Lokal-Anzeiger ver­öf­fent­lichte am 15. März 1909 sogar ein wohl­wol­lend ver­fasstes »Privat-Tele­gramm«, denn Reporter wurden noch nicht mit­ge­schickt auf jede Reise der deut­schen Natio­nal­mann­schaft.

Eine Boots­fahrt mit Folgen

Die musste damals noch das Schiff nehmen und die Spieler wurden angeb­lich alle see­krank zwi­schen Calais und Dover. Einige Kicker wei­gerten sich mit Rück­sicht auf ihren Magen nach der Ankunft in ihrem Hotel in London, den Aufzug zu nehmen. »Unsere See­krank­heit wirkte so lange nach, dass ich es nicht ertragen konnte, in unserem vor­nehmen Lon­doner First-Avenue-Hotel in der Oxford Street den Aufzug zu nehmen«, berich­tete der Frei­burger Spieler Dr. Josef Glaser später.

Auch auf dem Platz will er noch unter den Nach­wir­kungen der stür­mi­schen Über­fahrt gelitten haben, »manchmal glaubte ich, der Rasen schwebe schwindel-erre­gend auf und ab wie das Deck des stamp­fenden Schiffes.« So standen sie auf völlig ver­lo­renem Posten gegen die eng­li­sche Ama­teur-Aus­wahl, ein Lat­ten­schuss von Adolf Jäger war die ein­zige Aus­beute. Nur Tor­wart Adolf »Adsch« Werner aus Kiel machte ein großes Spiel und wurde anschlie­ßend mit dem Ball beschenkt und von den rund 6000 Zuschauern vom Platz getragen.

Das uner­forsch­teste deut­sche A‑Länderspiel

Solche Anek­doten bleiben den Lesern anno 1909 ver­borgen. Die Bericht­erstat­tung und der Datums-Fehler passen zum Wis­sens­stand um dieses wohl uner­forsch­teste deut­sche A‑Länderspiel. So fehlen sämt­liche Minu­ten­an­gaben zu den neun Toren auf der DFB-Home­page, in der Chronik von 2008 sind immerhin vier Treffer mit Minuten ver­sehen. Sicher ist: zur Pause hieß es 5:0. Der Fuß­ball­sport steckte noch in den Kin­der­schuhen in Deutsch­land, es war erst das vierte DFB-Län­der­spiel. Kein Ver­gleich zur Situa­tion im Mut­ter­land des Fuß­balls. Nei­disch erzählte Natio­nal­spieler Dr. Josef Glaser Jahr­zehnte später: »Am meisten über­rascht hat uns die Schnel­lig­keit der eng­li­schen Sport­presse. Kaum sam­melten wir uns draußen vor unseren Kabinen, da brachte man uns schon Zei­tungen mit dem Spiel­be­richt.« Ein Extra­blatt wird der DFB diese Woche wohl nicht ver­teilen, doch wenigs­tens klamm­heim­lich sollte er seine Geschichte umschreiben.

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